Auch die Organisationen, die ihre agile Reise angetreten haben und die wir begleiten konnten, haben versucht, Agilität zu messen und zwar auf sehr unterschiedliche Weisen. Dabei darf man sich fragen, wie Agilität gemessen werden sollte. Durch Praktiken? Durch die Zusammenarbeit in einem Team und Art der Konfliktlösung? Durch von dem Unternehmen willkürlich gewählte Ziele? Oder dadurch, ob ein Team in der Review seine Ergebnisse einem PO, Stakeholder oder direkt dem Kunden präsentiert?
Um zu wissen, wo sie stehen, greifen einige Unternehmen zu Reifegradmodellen. Die meisten Modelle zur Messung der agilen Reife setzen voraus, dass es einen idealen Zustand gibt, in dem die Organisation eine bestimmte Eigenschaft vollständig verinnerlicht hat. Im Gegenzug dazu könnten Organisationen, die sich noch nicht auf der höchsten Stufe befinden, als gewissermaßen "unterentwickelt" oder mangelhaft betrachtet werden. Jedoch ist ja das Ziel, das ich mit der Agilität erreichen möchte, abhängig von dem Kontext, in dem ich mich als Unternehmen bewege und damit nicht generalisierbar.
Es bleiben jedoch andere berechtigte Fragen, die unbeantwortet bleiben: "Wie lange wird es dauern?" oder "Was kostet es dann?", zum Beispiel von der Managementebene. Warum erwähne ich das Management an dieser Stelle? Weil ohne die Unterstützung seitens des Managements kann kein Tream agil werden. Seine Unterstützung ist unentbehrlich. Wird einmal ein Ziel gesetzt, möchte das Unternehmen wissen, wie Erfolg gemessen wird und was der Weg dorthin kostet.
Eine Antwort auf diese Herausforderungen bietet das "Agile Fluency Model" von Diana Larsen und James Shore, das 2012 entwickelt wurde. In diesem Blogbeitrag werden wir der Frage nachgehen, ob sich das Agile Fluency Model als Alternative zur Messung und Erreichung der Agilitätsreife anbietet.
Das "Agile Fluency Model" sollte zumindest auf der Teamebene ein gutes Werkzeug sein, um festzustellen, wo sich ein Team auf ihrer agilen Reise befindet. Die Autoren von dem Modell unterstreichen jedoch, dass das Model in kleinster Weise dazu benutzt werden soll, die agile Reife (eng. „agile maturity“) zu messen. Das Modell von Diana Larsen und James Shore ist eher als Wegweiser und Rahmenkonzept gedacht als Bewertungsinstrument. Es bietet eine Struktur, um die Reise eines Teams durch verschiedene Stufen der Agilität zu verstehen und zu unterstützen. Der Fokus liegt darauf, wie gut ein Team die Prinzipien und Praktiken agiler Methoden in seiner täglichen Arbeit umsetzt. Das Modell umfasst vier Zonen, die den evolutionären Fortschritt einer Agile-Reise widerspiegeln:
Im Gegensatz zu anderen Modellen, die die organisatorische Agilität untersuchen, konzentriert sich das "Agile Fluency Model" speziell auf die Teamebene. Es erkennt die Realität an, dass Teams die grundlegende Arbeitseinheit und der Schlüsselmotor für agile Transformationen sind.
Die Autoren beschreiben jede der vier Stufen und versehen es mit erwarteten Ergebnis, Kosten und Dauer bis zu dem gewünschtem Level einer Fluency. Das Wort Fluency wird hier absichtlich benutzt, da die Verfasser der Meinung sind, dass eine bestimmte Stufe nur dann erreicht ist, wenn das Team in wirklich jeder Situation die Gewohnheiten, verinnerlicht hat, einsetzen kann, d.h. auch in einer Stresssituation und vergleichen das mit Erlernen (ferner „Fluency“) einer Sprache. Das Modell erkennt an, dass Teams sich allmählich weiterentwickeln und im Laufe der Zeit eine "Fluency" in agilen Praktiken erreichen. Es bietet eine Art Roadmap, damit Teams von einer Stufe zur nächsten fortschreiten können, was eine stetige Entwicklung ermöglicht.
Das Modell erkennt ebenso an, dass Teams unterschiedliche Ziele, Prioritäten und Einschränkungen haben können. Es ermöglicht Teams, ihre Praktiken anhand ihrer spezifischen Umstände anzupassen und gibt ihnen die Flexibilität, die richtigen agilen Praktiken zu wählen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Aus diesem Grund, betonen Larsen und Shore, dass nicht jedes Team die höchste Stufe in ihrem Modell anstreben soll. Wie schon am Anfang dieses Beitrages erwähnt: jedes Produkt und jede Organisation ist anders und genau aus diesem Grund ist es sinnlos, davon auszugehen, dass jedes Team dasselbe braucht. Stattdessen beschreibt das Modell eine logische Entwicklung entlang verschiedener Zonen:
Die klare Struktur und die Fokussierung auf Wert, Team, System und Markt machen es zu einem vielseitigen Werkzeug für diejenigen, die die Vorteile agiler Methoden voll ausschöpfen möchten ohne sich (sofort) auf das Ziel zu konzentrieren, in die letzte Zone zu gelangen. Das Modell eignet sich als Basis für Gespräche über die schrittweise Entwicklung von Teams und ferner Organisationen. Seine Vorteile liegen auf der Hand. Jede Zone ist gut beschrieben und zwar in Hinsicht auf erwartete:
Anhand dieser Merkmale ermöglicht es jedem Team abzuwägen, in welche Richtung / wie weit es sich entwickeln möchte. Sollte ein Team trotz Anstrengungen die Vorteile der jeweiligen Zone bei sich nicht sehen, kann es schnell anhand der Beschreibungen herausfinden, was fehlt.
Gibt es Nachteile? Ja. Das Modell mag manchmal sehr allgemein vorkommen. Es ist keine Handlungsanleitung mit detaillierten Informationen. Gegebenenfalls sind Kenntnisse anderer Modelle erforderlich. Darüber hinaus sind gute Kenntnisse aus dem Bereich Agilität unabdingbar. Als Kritik kann außerdem erwähnt werden, dass das Model sich auf langjährigen Beobachtungen der Autoren stützt, die Organisationen beraten. Wissenschaftlich ist es in keinster Weise belegt. Trotzdem bietet es eine gute evolutionäre Wegweisung für Teams und Unternehmen.
Das "Agile Fluency Model" von Larsen und Shore bietet eine praktische Alternative zu traditionellen Reifemodellen. Es dient als Wegweiser für Teams, ihre agilen Praktiken zu verbessern, ohne zwingend die höchste Stufe erreichen zu müssen. Trotz einiger Kritikpunkte bietet es eine klare Struktur für die schrittweise Weiterentwicklung von Teams und hilft, die Vorteile agiler Methoden effektiv zu nutzen.
Wir stören nicht viel, versprochen ;-)
